Der Gang über das mit Morgentau benetzte Gras in Richtung Eingangsbereich des Maimarktgeländes, gleicht oft schon einem Oldtimertreffen. Viele Oldtimerliebhaber aus ganz Europa reisen im eigenen Old- oder Youngtimer an. Wir ließen es die letzten Jahre eher bequem angehen und kamen im modernen Fahrzeug. Mal mittendrin sein, schon das Gefühl der Oldieanreise mit auf den Markt nehmen, so haben wir es uns dieses Mal gedacht. Ausgesucht haben wir uns ein Fahrzeug der stetig wachsenden Fangemeinde der Youngtimer-Modelle. Auch wenn er fachlich betrachtet schon ein waschechter Oldtimer ist. Denn seine Zulassung liegt über 30 Jahre zurück. Unser Opel Rekord E Modell für die Fahrt zur Veterama kommt aus der Opel Classic Sammlung und wurde am 1. Juli 1986 erstmals zugelassen.
Gleich am Samstagmorgen während das Gras noch nass benetzt ist, suchen wir uns einen guten Platz. Dank der Veterama GmbH können wir unseren gepflegten Rekord E auf dem Marktplatz abstellen. Dort werden vom rostigen Gerippe auf einem Trailer, über das R4 Sondermodell Savanne neben uns, bis zum 70er Jahre Luxusschlitten, facettenreiche Autos angeboten. Wir legen sofort ein „SOLD“-Schild in unseren Opel Rekord, da kurz nach dem Abstellen auf dem Veterama Marktplatz, die ersten Interessenten auf uns zukamen. Und das Team um Uwe Mertin und Katrin Obry von Opel Classic in Rüsselsheim fände es sicher nicht lustig, wenn wir ihren Rekord hier veräußern würden.
Wenn dir an einem sonnigen Herbstmorgen der Geruch von Grill-Bratwurst, Bier und Öl in die Nase steigt, ist Veterama-Time.
Es ist erst zehn Uhr, die Sonne blinzelt durch die vorher graue Wolkendecke an diesem Herbsttag und eine Duftkombination aus Öl, Benzin und Bratwurst vom Holzkohlegrill erreicht unsere Duft-Synapsen. Es ist der Geruch der Liebhaber von altem Blech und Automobilia. Etwas was es nicht im Internet gibt, nur hier, bei Europas größtem Oldtimer Markt. Und er macht frei. Alle Alltagssorgen sind vergessen und wir bewegen uns über das schon jetzt gut gefüllte Gelände.
Das Rattern und Knattern der Motoren ist der #VeteramaBlues.
Es ist diese spezielle Atmosphäre, dieser Geruch nach Alt. Die morgendliche frische Herbstluft, durchzogen von frisch aufgebrühtem Kaffee, ja, gebrüht, gefiltert, nicht „gekapselt“. Später am Tag die grauen Rauchschwaden die von Holzkohlegrills aufsteigen, der Geruch von angebrannten Steaks in der Luft, dazu ein frisches gezapftes Pils. Das ist die Atmosphäre die seit über 40 Jahren die Veterama zu etwas Besonderem machen. Mit ihren Angeboten von ganzen Autos, rostigen Fahrrädern, Schaufensterpuppen, Autoliteratur, antiken Schildern und vielem mehr, was man nicht braucht. Aber jeden einzelnen Käufer ein klein wenig glücklicher macht.
Der Rucksack ist die Handtasche des Mannes auf der Veterama.
Diese Lust auf „etwas zu kaufen wo ich vor 10 Minuten noch nicht wusste dass ich es brauche“ nennt man auch gerne „Veterama-Syndrom“. Kaum bist du durch die breite Pforte der Einganstüren durch, bekommst du spätestens nach 2 Gängen diese innere Unruhe, etwas in den Rucksack packen zu müssen. Ja ein Rucksack, gängiges Modeaccessoire eines Mannes auf der Veterama. Hier passt alles rein, vom Zylinderkopf einer 70er Jahre Jahre Zündapp bis zum 2 Kilogramm schweren antiquarischen Buch über Bugatti.
Sicherlich kaufe ich heute auch viele Sachen im Internet, weil die Dinge jederzeit verfügbar sind. Dennoch freue ich mich immer noch auf die große Veterama, denn nur dort kann man diesen Oldtimerbazillus wirklich leben. Und das schöne ist immer noch, die Veterama verbindet alle Schichten. Ob der 72-Jährige Unternehmenslenker der selbst schrauben kann und eine Zündeinheit für seinen Vorkriegs-Horch sucht, der 28-Jährige Jung-BWL’er der für seinen Youngtimer die passende Literatur sucht oder die teils skurrilen Anbieter in der Motorradlandschaft, die so überproportional herzlich sind. Auf der Veterama sind sie alle gleich. Verteilt auf aktuell gigantischen 260.000 qm mit unzähligen Gängen.
Unser Opel Rekord E für die Veterama von Opel Classic
Auch wir werden fündig, ergattern die originalen Prospekte und Bedienungsanleitung für den Rekord E. Unser Fahrzeug ist eines der letzten Exemplare, der nach 22 Jahren in Erstbesitz, direkt den Weg in die historische Sammlung der Adam Opel GmbH fand. Bereits am Vortag konnten wir eine Art Werksabholung bei Opel vornehmen und bekamen den Werkswagen am bekannten Opel Werk Portal M55 übergeben. Dort wurden früher Getriebe und Antriebsteile für Opel Fahrzeuge gefertigt.
Im August 1986 wurde nach 1,4 Millionen produzierten Fahrzeugen der Rekord E durch den Omega A abgelöst. Damit endete die seit 1953 angebotene Modellreihe Opel Rekord, welche ihren Platz in der gehobenen Mittelklasse über Jahre in den Herzen der Masse eingefahren hat. Ein Vierzylinder-Reihenmotor vorne mit hinterer Starrachse und Hinterradantrieb war ihr Markenzeichen. Bei uns gibts innen zudem Wohnzimmeratmosphäre mit der blauen Veloursausstattung der „GL“ Linie. Wobei der Eigner des weißen Rekord ein wenig mogelte und sich die glattflächigen Radkappen und Zierstreifen der höheren GLS Version montierte. Unter der Haube werkelt schon der 2.2i-Einspritz-Motor, der seit Herbst 1984 den lange eingesetzten 2.0 E Benziner ersetzte.
Der Opel Rekord E, einst eine der erfolgreichsten Produktlinien der Rüsselsheimer, feiert 2022 seinen 45. Geburtstag. Auf der IAA 1977 startete die letzte Rekord-Baureihe zuerst als Rekord E1 und wurde dem Facelift in 1982 als Rekord E2 geändert.
Ob hier jemals auch das Nachfolgemodell stehen wird, erübrigt sich, als wir wenige Meter weiter einen Omega A erspähen. Naturgemäß gibt es auf der Veterama und anderen Oldtimermärkten noch viele Kleinteile von und über die Massenautos von Opel, VW und Ford zu finden. Sicherlich ist manches Teil teurer als im modernen Internet. Aber anfassen, fühlen, spüren, Gespräche mit teils skurrilen Auto-Hobbyisten, das sind eben die Vorzüge einer Offline Welt, die speziell hier deutlich wird.
Es benötigt keinen Klassiker im sechsstelligen Eurobereich um das Gefühl Youngtimer oder Oldtimer zu erleben. Es ist ähnlich wie unter der Dusche, auf der Veterama sind alle gleich.
Die nächste Veterama in Mannheim findet am 08.-10. Oktober 2021 statt. Sofern Corona uns nicht erneut die Freude an einem Oldtimermarkt versagt.
Text: Bernd Schweickard© Foto: Michael Hintz, Bernd Schweickard